Fulbert Steffensky

 Fulbert Steffensky in: Der Klerikerstreit. Die Auseinandersetzung um Eugen Drewermann  1990, S.33-37

"(...] In einem Seminar haben wir einmal den Zusammenhang von Tradition und Identität behandelt. Die Teilnehmer des Seminars kam überwiegend aus der Großstadt und kannten traditional vorgeformte Situationen kaum. Durch einen Zufall waren einige Studierende dabei, die früher zu Freikirchen gehörten, diese aber verlassen hatten. Sie kämpften gegen ihre eigene Vergangenheit und beklagten sich über die Restriktionen, die sie dort erleiden mussten. Eine Hamburger Studentin sagte schließlich zu ihnen: "Ihr habt es gut. Ihr könnt wenigstens von etwas weggehen!." (S.34)

"Zu Recht wendet er [Drewermann] sich gegen eine überall sich ausbreitende Selbstvergessenheit und Selbstbesetztheit der Subjekte, welche die alte Entfremdung in Systemen ablöst und Menschen zu Gefangenen ihrer eigenen Herzen macht. Zu Recht spricht er gegen eine psychologistische Selbstprovinzialisierung, in der in der Tat nichts mehr wahrgenommen und nichts mehr gesucht wird als die eigene Seele. Und diese Identitäts- süchtigkeit tut genau das, was Metz beschreibt, sie saugt die Phantasie für fremdes Leiden auf. Außerdem ist dieser Zwang, sich seinen eigenen Namen zu verschaffen, der Zwang zur Selbstbesorgung zum Scheitern verurteilt. Es ist eine neue Variante des Versuchs, aus dem Gesetz zu leben, auf den die paulinische Gesetzeskritik zutrifft." (S.36)

"Drewermann müsste verstehen, dass man sich nicht Feind sein muss, nur weil man an verschiedenen Fronten kämpft. Er selbst kämpft gegen eine falsche Strenge des Christentums, in der die Sache durch das Opfer, was zu bringen war, gerechtfertigt wurde. Metz setzt das voraus, worum Drewermann kämpft, nämlich die Subjektivität des Menschen. Er setzt voraus, dass ihm Denken, Gewissen, Entscheidungsfähigkeit, Glück und Identität zugetraut sind. Dann aber fragt er neu nach den Grundoptionen der jüdisch-christlichen Tradition. Keine Option aber, kein ernsthafter Gedanke, keine Lebensvision ist ohne Strenge zu haben. Die Optionslosigkeit einer Gesellschaft und einer Kirche kann man auch daran erkennen, dass nichts mehr gefordert wird und dass man für nichts mehr einstehen muss. Das Christentum ist keine Einrichtung zur Rettung einer sanften Normalität. [...] Nichts ehrt den Menschen mehr, nichts braucht mehr Erwachsenheit und Glauben an Gott, als der eigenen Vergangenheit ins Gesicht sehen zu können. [...] Wir Traditionskritiker leben selber noch von den Bildern, dem Ethos und vom Reichtum unserer Geschichte. Sonst könnten wir wahrscheinlich gar nicht kritisieren. Wovon aber werden unsere Kinder leben, wenn wir uns in der Geste der Entlarvung erschöpfen?" (S.37)

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