Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang

 Jakob Böhme (Wikipedia)

"[...] Die Philosophie von Böhme wird vereinfachend oft als Pantheismus betitelt, obwohl er diese Anschuldigung vehement zurückwies und sich selbst nicht als Pantheisten begriff.[7] Seine Weltanschauung entspricht den frühbürgerlichen Auffassungen. Böhme wurde von den Wirren der Zeit geprägt, so von den Nachwirkungen der Reformation und des Bauernkriegs, der Erstarrung des Protestantismus und der Gegenreformation, die seit den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts an Boden gewann, und dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Im engeren Sinn war es der in Riten und Dogmen verharrende Protestantismus, der weite Bereiche des geistigen und praktischen Lebens in Deutschland bestimmte, gegen welchen sich Böhmes Lehre richtete. [...]"

Aurora oder Morgenröte im Aufgang (Wikipedia)

[...] Die außerordentliche Wirkung der Aurora auf Leibniz, später auf Goethe und auf den Deutschen Idealismus und dessen romantisches Umfeld, also Novalis, SchellingHegelPhilipp Otto Runge und deren Freundeskreise, beruht vor allem auf der Sprache Böhmes. Im beständigen Ringen um Versinnlichung des Übersinnlichen und um Ausdruck für das Unerhörte gewinnt er eine energische Plastizität, eine kraftvolle Originalität, die in ihrer poetischen Dichte nur noch den Sprüchen der Propheten und Psalmendichter vergleichbar ist. [...]"

Aurora oder Morgenröte im Aufgang

Von Erforschung des göttlichen Wesens in der Natur
Von beiden Qualitäten
[55] Wiewohl Fleisch und Blut das göttliche Wesen nicht ergreifen kann, sondern der Geist, wenn er von Gott erleuchtet und angezündet wird, so man aber will von Gott reden, was Gott sei, so muß man fleißig erwägen die Kräfte in der Natur, dazu die ganze Schöpfung, Himmel und Erden, sowohl Sternen und Elementa und die Kreaturen, so aus denselben sind herkommen, sowohl auch die heiligen Engel, Teufel und Menschen, auch Himmel und Hölle.

2. In solcher Betrachtung findet man zwo Qualitäten, eine gute und eine böse, die in dieser Welt in allen Kräften, in Sternen und Elementen, sowohl in allen Kreaturen ineinander sind wie ein Ding, und bestehet auch keine Kreatur im Fleische in dem natürlichen Leben, sie habe denn beide Qualitäten an sich.

3. Allhier muß man nun betrachten, was das Wort Qualität heißt oder ist. Qualität ist die Beweglichkeit, Quallen oder Treiben eines Dinges, als da ist die Hitze, die brennet, verzehret und treibet alles, das in sie kommt, das nicht ihrer Eigenschaft ist. Hinwiederum erleuchtet und erwärmet sie alles, was da ist kalt, naß und finster und machet das Weiche hart. Sie hat aber noch zwo Species in sich, als nämlich das Licht und die Grimmigkeit, davon zu merken ist.

4. Das Licht oder das Herze der Hitze ist an ihm selber ein lieblich, freudenreicher Anblick, eine Kraft des Lebens, eine Erleuchtung und Anblick eines Dinges, das da ferne ist, und ist ein Stück oder Quell der himmlischen Freudenreich. Denn es machet in dieser Welt alles lebendig und beweglich, alles Fleisch, sowohl Bäume, Laub und Gras wächset in dieser Welt in Kraft des Lichts und hat sein Leben darinnen als in dem Guten. [...]


Von der Kälte Qualifizierung

10. Die Kälte ist auch eine Qualität wie die Hitze. Sie qualifiziert in allen Kreaturen, was aus der Natur worden ist, und in allem, was sich darinnen beweget: in Menschen, Tieren, Vögeln, Fischen, Würme(r)n, Laub und Gras, und ist der Hitze entgegengesetzt und qualifizieret in derselben, als wäre es ein Ding. Sie wehret aber der Hitze Grimmigkeit und stillet die Hitze.

11. Sie hat aber auch zwo Species in sich, davon zu merken ist, als nämlich daß sie die Hitze besänftiget und alles fein lieblich machet, und ist in allen Kreaturen eine Qualität des Lebens; denn es kann keine Kreatur außer der Kälte bestehen; denn sie ist eine quallende, treibende Beweglichkeit in allen Dingen.

12. Die andere Species ist die Grimmigkeit; denn so sie Gewalt kriegt, so druckt sie alles nieder und verderbet alles wie die Hitze. Es kann kein Leben in ihr bestehen, so ihr die Hitze nicht wehret.[56] Die Grimmigkeit der Kälte ist eine Verderbung alles Lebens und ein Haus des Todes, gleichwie der Hitze Grimmigkeit auch ist.


Von der Luft und des Wassers Qualifizierung

13. Die Luft hat ihren Ursprung von der Hitze und Kälte; denn die Hitze und Kälte treiben gewaltig von sich und erfüllen alles; davon wird eine lebende und webende Bewegung. Wenn aber die Kälte die Hitze besänftiget, so wird beider Qualität dünne und die bittere Qualität zeucht es zusammen, daß es tröpflich wird. Die Luft aber hat ihren Ursprung und größte Bewegung aus der Hitze, und das Wasser von der Kälte. [...]" (Böhme: Aurora 1. Kapitel)


Das 2. Kapitel Anleitung, wie man das göttliche und natürliche Wesen betrachten soll

 [61] Dieses alles, wie oben erzählet, heißt darum Qualität, daß es alles in der Tiefe über der Erden, auf der Erden und in der Erden ineinander qualifizieret wie ein Ding, und hat doch mancherlei Kraft und Wirkung, aber nur eine Mutter, daraus alles Ding herkommt und quillet. Und alle Kreaturen sind aus diesen Qualitäten gemacht und herkommen und leben darinne als in ihrer Mutter. Auch so hat die Erde und Steine daraus sein Herkommen und alles, was aus der Erden wächset, das lebet und quillet aus der Kraft dieser Qualitäten. Das kann kein vernünftiger Mensch verneinen. [...]
17. Nicht mußt du denken, daß in dem Corpus der Sterne sei die ganze triumphierende heilige Dreifaltigkeit, Gott, Vater, Sohn und Hl. Geist, in welchen ist kein Böses, sondern ist der lichtheilige, ewige Freudenquell, der unzertrennlich und unveränderlich ist, das keine Kreatur genug ergreifen oder aussprechen kann, welcher wohnet und ist über dem Corpus der Sterne in sich selbst; seine Tiefe kann keine Kreatur ermessen. [...]

32. Hie mußt du nun sehen über und außer die Natur in die licht-heilige, triumphierende, göttliche Kraft, in die unveränderliche Hl. Dreifaltigkeit, die ist ein triumphierend, quallend, beweglich Wesen, und sind alle Kräfte darinnen wie in der Natur. Denn das ist die ewige Mutter der Natur, davon Himmel, Erden,[66] Sternen, Elementa, Engel, Teufel, Menschen, Tiere und alles worden ist und darinnen alles stehet.

33. So man nennet Himmel und Erden, Sternen und Elementa und alles, was darinnen ist, und alles, was über allen Himmeln ist, so nennet man hiemit den ganzen Gott, der sich in diesem oberzählten Wesen in seiner Kraft, die von ihm ausgehet, also kreatürlich gemacht hat.

34. Gott aber in seiner Dreifaltigkeit ist unveränderlich, sondern alles, was da ist im Himmel und auf Erden und über der Erde, das hat seinen Quell und Ursprung von der Kraft, die von Gott ausgehet.

35. Nicht mußt du denken, daß darum in Gott Böses und Gutes quälle oder sei, sondern Gott ist selber das Gute und hat auch den Namen von dem Guten, die triumphierende ewige Freude. Allein alle Kräfte gehen aus ihm aus, die du in der Natur erforschen kannst und die in allen Dingen sind.

36. Nun möchtest du sagen: Es ist ja Böses und Gutes in der Natur; weil denn alles Ding von Gott kommt, so muß ja das Böse auch von Gott kommen.

37. Siehe, ein Mensch hat in sich eine Galle, das ist Gift, und kann ohne Galle nicht leben; denn die Galle machet die siderischen Geister beweglich, freudenreich, triumphierend oder lachend, denn sie ist ein Quell der Freuden. So sie sich aber in einem Element entzündet, so verderbet sie den ganzen Menschen, denn der Zorn in den siderischen Geistern kommt von der Galle.

38. Das ist: wenn sich die Galle erhebet und zu dem Herzen läufet, so zündet sie das Element Feuer an, und das Feuer zündet die siderischen Geister an, welche im Geblüte in Adern in dem Element Wasser regieren; denn zittert der ganze Leib für Zorn und Gift der Gallen. Eben einen solchen Quell hat auch die Freude, und (ist) auch aus dieser Substanz wie der Zorn. Das ist: wenn sich die Galle in der liebhabenden oder süßen Qualität entzündet, in dem, was dem Menschen lieb ist, so zittert der ganze Leib für Freuden, in welchem manchmal die siderischen Geister auch angestecket werden, wenn sich die Galle zu sehr erhebet und in der süßen Qualität entzündet. [...]" (Böhme: Aurora 2. Kapitel)

Das 3. Kapitel
Von der hochgebenedeiten triumphierenden heiligen, heiligen, heiligen Dreifaltigkeit, Gott Vater, Sohn, Heiliger Geist, einiger Gott
[69] Günstiger Leser, allhie will ich dich treulich vermahnet haben, daß du deinen Dünkel fahren lassest und dich nicht nach heidnischer Weisheit vergaffest, dich auch an der Einfalt des Autoris nicht ärgerst; denn das Werk ist nicht seiner Vernunft, sondern des Geistes Trieb. [...]


2. Als unser Heiland Jesus Christus seine Jünger lehrete beten, so sprach er, wenn ihr wollet beten, so sprecht: Unser Vater, der du bist im Himmel (Matth. 6, 9). Dieses hat nicht den Verstand, daß der Himmel könnte den Vater begreifen oder umfassen, denn er ist selber aus der göttlichen Kraft gemacht.

3. Denn Christus spricht: Mein Vater ist größer denn alles (Joh. 10, 29) und im Propheten spricht Gott: Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde ist mein Fußschemel (Jes. 66, 1). Item: Was wollt ihr mir für ein Haus bauen? Ich umfasse den Himmel mit einer Spanne und den Erdenboden mit einem Dreilinge (Jes. 40, 12). Item: In Jakob will ich wohnen und Israel soll meine Hütte sein (Psalm 135, 4; Sir. 24, 13).

4. Daß aber Christus seinen Vater einen himmlischen Vater nennet, damit meinet er, daß seines Vaters Glanz und Kraft ganz lauter, hell und rein im Himmel erscheine und daß über dem Zirk oder Schluß, den wir da mit unsern Augen sehen, das wir Himmel[69] heißen, erscheine die ganze triumphierende Hl. Dreifaltigkeit, Vater, Sohn, Hl. Geist.

5. Auch so unterscheidet Christus hiemit seinen himmlischen Vater von dem Vater der Natur, welcher ist die Sterne und Elementa. Dieselben sind unser natürlicher Vater, daraus wir gemacht sind und in dessen Trieb wir allhie in dieser Welt leben und von welchem wir unsere Speise und Nahrung nehmen.

6. Er ist aber darum unser himmlischer Vater, daß unsere Seele sich stets nach ihm sehnet und ihn begehret. Ja, sie dürstet und hungert stets nach ihm. Der Leib hungert und dürstet nach dem Vater der Natur, welches sind die Sterne und Elementa, und derselbe Vater speiset und tränket ihn auch. Die Seele aber dürstet und hungert stets nach dem himmlischen heiligen Vater, und er speiset und tränket sie auch mit seinem Hl. Geist und Freudenquell.

7. Nun aber haben wir nicht zwei Väter, sondern nur einen: der Himmel ist aus seiner Kraft gemacht und die Sterne aus seiner Weisheit, die in ihm ist, die von ihm ausgehet.

8. Wenn man nun betrachtet die ganze Natur und ihre Eigenschaft, so siehet man den Vater. Wenn man anschauet den Himmel und die Sterne, so siehet man seine ewige Kraft und Weisheit. Also viel(e) Sterne unter dem Himmel stehen, die doch unzählig und der Vernunft unbegreiflich, auch ein Teil unsichtlich sind, also viel und mancherlei ist Gottes des Vaters Kraft und Weisheit. [...]

12. Er ist aber von Ewigkeit zu Ewigkeit also unveränderlich. Er hat sich in seinem Wesen noch nie verändert, wird sich auch in alle Ewigkeit nicht verändern. Er ist von nichts herkommen oder geboren, sondern ist selber alles in Ewigkeit, und alles, was da ist, das ist von seiner Kraft worden, die von ihm ausgehet. Die Natur und alle Kreaturen sind aus seiner Kraft worden, die von ihm ist von Ewigkeit ausgangen. Seine Weite, Höhe und Tiefe kann keine Kreatur, auch kein Engel im Himmel erforschen, sondern die Engel leben in des Vaters Kraft ganz sänftig und freudenreich, und singen immer in des Vaters Kraft.

13. So man nun will Gott, den Sohn, sehen, so muß man abermal(s) natürliche Dinge anschauen, sonst kann ich nicht von ihm[71] schreiben. Der Geist siehet ihn wohl, aber man kann es nicht reden oder schreiben, denn das göttliche Wesen stehet in Kraft, die sich nicht schreiben oder reden lässet. Müssen derowegen Gleichnisse vor uns nehmen, wenn wir wollen von Gott reden, denn wir leben in dieser Welt im Stückwerk und sind aus Stückwerk gemacht worden.[...]

14. Der Vater ist alles und alle Kraft bestehet in dem Vater. Er ist der Anfang und das Ende aller Dinge, und außer ihm ist nichts; und alles, was da worden ist, das ist aus dem Vater worden. Denn vor Anfang der Schöpfung der Kreaturen war nichts als nur allein Gott, und wo nun nichts ist, daraus wird nichts. [...] Du darfst auch nicht denken, daß der Sohn außer dem Vater sei und sei ein besonder(er) Teil, als wenn zwei Männer nebeneinander stehen, da einer den andern nicht begreift. Nein, eine solche Substanz hat es nicht mit dem Vater und Sohne, denn der Vater ist nicht ein Bild, mit etwas zu vergleichen, sondern der Vater ist der Brunnquell aller Kräfte, und sind alle Kräfte ineinander wie eine Kraft. [...]

15. Der Sohn aber ist das Herze in dem Vater. Alle Kräfte, die in dem Vater sind, die sind des Vaters Eigentum, und der Sohn ist das Herze oder der Kern in allen Kräften in dem ganzen Vater. Er ist aber die Ursache der quellenden Freuden in allen Kräften in dem ganzen Vater. [...]

20. Denn gleichwie die Sonne mitten zwischen den Sternen und Erden stehet und erleuchtet alle Kräfte und ist das Licht und Herze aller Kräfte, und alle Freude in dieser Welt, dazu alle Schönheit und Lieblichkeit stehet in der Sonne Licht und Kraft, also auch der Sohn Gottes in dem Vater, der ist das Herze in dem Vater und leuchtet in allen Kräften des Vaters, und seine Kraft ist die bewegliche, quellende Freude in allen Kräften des Vaters, und leuchtet in dem ganzen Vater, gleichwie die Sonne in der ganzen Welt. [...]

24. Gott, der Hl. Geist, ist die dritte Person in der triumphierenden hl. Gottheit, und gehet vom Vater und Sohne aus der heilige wallende Freudenquell in dem ganzen Vater, ein lieblich, sanftes und stilles Sausen, aus allen Kräften des Vaters und des Sohnes, wie beim Propheten Elia am Berge Horeb (I. Kön. 19, 12) und am Pfingsttage bei den Aposteln Christi zu sehen ist (Apg. 2, 2). [...]"


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